Die Vorgeschichte
Letztes Wochenende habe ich meine S51 nach 2 Jahren Standzeit aufgeweckt und von Thüringen ins Stuttgarter Hinterland überführt. Aber immer der Reihe nach, ich fang am Anfang an.
Ich lebe nun schon seit vielen Jahren im Ländle. Mein gutes altes Studenten-Mopped ist aber immer in Thüringen geblieben. Hier im Ländle hatte ich eine MZ zum rumreiten. Doch nun kommt Nachwuchs, und deshalb höre ich mit dem Motorradfahren auf. MZ ist verkauft. Und jetzt? Wenn's in den Fingerspitzen kribbelt? Wenn die Lust auf eine Spazierfahrt brennt? Wenn die meditative Putzwut kommt? Also habe ich mir schließlich überlegt, die Simson in die Exilheimat zu holen. Doch wie kriegt man ein Moped über 400 Kilometer transportiert, wenn man keinen Transporter oder Hänger hat? Ganz einfach: draufsetzen und losfahren.
Nach einem Blick in den Kalender wurde der 20.9. als Termin festgemeißelt.
Aufwachen!!!
Am Freitag Abend sind wir zu zweit mit dem Auto nach Thüringen gefahren. Samstag früh gings dann erstmal zum Händler, um ein paar Kleinteile zu holen. Und nach dem Mittag gings dann endlich ran an den Speck. Das Moped stand zwei Jahre lang abgedeckt in der Scheune. Rausschieben und als erstes Mal Luft auf die fast platten Reifen pumpen.
Dann wurde die mitgebrachte geladene Batterie eingebaut. Der Tank war während der Zeit immer voll, so dass dort kein Rostproblem existierte. Das Kennzeichen wollte angeschraubt werden und dann wurde es langsam ernst.
Benzinhahn auf … und dann lief erstmal Sprit aus. Ich hatte so einen kleinen Kunststofffilter in der Spritleitung, der hatte einen Riss bekommen. Also noch schnell die Spritleitung rausgehackt und durch eine neue ersetzt. Dann aber…! Eigentlich wollte ich wetten, dass sie beim dritten Kick anspringt. … Doch diese Wette hätte ich verloren, sie hat vier Kicks gebraucht. Sie lief! Nach zwei Jahren rumstehen lief sie, als wäre ich gestern noch mit ihr Brötchen holen gewesen.
Also den Nachttopfhelm auf und los gings zu einer kleinen Probefahrt. Das Maschinchen lief wunderbar, Leistung war da, das Getriebe ließ sich schön schalten und die Elektrik funktionierte auch.
Den Rest des Tages haben wir gemeinsam mit putzen verbracht. Meine Frau hat unseren blauen Blitz poliert und ich habe das Möpp gewienert. So sah die Szene am Ende des Tages aus:

Der große Tag
Es wurde Sonntag. Ich hatte mir den Wecker gestellt, war aber wegen meiner großen Reise so aufgeregt, dass ich schon vorher von alleine wach geworden bin. Bei einem Morgenmuffel wie mir will das was heißen! Aufregung? Im positiven Sinne wegen der tollen großen Reise, die mir bevorstand. Ich bin schrecklich gern unterwegs. Mit dem Auto bin ich die Strecke ja gewöhnt, aber mit dem Mopped ist das was ganz anderes. Aufregung im negativen Sinne wegen der Gedanken wie: „Werde ich ankommen? Wird die Maschine durchhalten? Werde ich heute Abend tatsächlich im Ländle sein?“
Die wichtigste Vorbereitung, welche im Vorfeld zu leisten war, war eine genaue Routenplanung. Bei Google-Maps geht sowas wunderbar. Hier kann man so lange Teile der Route hin und her schieben, bis alles passt. Ich hatte eine Route zusammengesucht, die eine minimale Entfernung zum Ziel aufweist und wegen der Kraftfahrstraßen um die großen Städte (insbesondere Würzburg und Heilbronn) herumführt.
Zur Ausrüstung:
- Bordwerkzeug, Glühlampen, Luftpumpe und Lappen sind immer im Herzkasten bzw. unter der Sitzbank verstaut.
- Ein kleiner Rucksack mit was zu essen kam auf den Gepäckträger.
Auf den Rücken kam ein großer Rucksack mit
- was zu schlabbern für den Menschen (große Flasche Wasser)
- was zu schlabbern für die Maschine (5 Liter-Kanister 1:50)
- ein paar Ersatzteilen (Zündkerze, Kerzenstecker, Gas- und Kupplungsbowdenzug, Vergaserflanschdichtung, Spritleitung)
- Routenplan
- Geldbeutel
In die Jacke kamen Handy (frisch geladen!) und die kleine Digicam. Und um den Hals kam das GPS.
Los gings schließlich um 0845 bei Kilometerstand 19163.
Meine Route führte mich ausschließlich über kleine Landstraßen, auf denen ich fast völlig allein war. Anfangs war mir noch recht kalt, dabei hatte ich extra das Innenfutter in die Lederjacke eingezogen.
Zunächst ging es auf der B87 nach Ilmenau und dann über den Thüringer Wald. Zum Kickelhahn hoch wollte eine lange 12%-Steigung bezwungen werden. An der steilsten Stelle war dafür selbst der zweite Gang zu viel. Ich bin zum Schluss im ersten mit der Geschwindigkeit eines besseren Radlers und einer dicken Rauchfahne aus der Esse den Berg hochgekrabbelt. Wenn man erstmal im ersten ist, kommt man auch nicht wieder in den zweiten hoch, dafür ist der Drehzahlsprung zu groß. Aber schließlich war der Berg bezwungen und es ging weiter auf einer kurvigen ebenen Straße an tausenden Nadelbäumen entlang. An der höchsten Stelle im Thüringer Wald hat das GPS übrigens 802 m über NN angezeigt, das Möpp und ich, wir sind also ganzschön geklettert.

Irgendein Autofahrer hat mich in dieser Gegend so beherzt überholt, dass ich hinterher lauter Ölsprenkel auf der Brille hatte. Ich dachte erst, das sei Staub. Aber als ich es bei der nächsten Pause abwischen wollte hatte es geschmiert.
Weiter ging es über Frauenwald in Richtung Hildburghausen. Hier ging es ganzschön den Berg runter, eh die Gegend dann wieder deutlich offener und flacher wurde. Auch setzte sich endlich die Sonne durch, so dass mir langsam wärmer wurde.
Hinter Bad Königshofen musste ich dann eine Umleitung fahren. Diese führte mich durch die kleinsten fränkischen Hinterweltnester. Nirgends war ein Mensch zu sehen, die Orte waren alle wie ausgestorben! Keine Ahnung, wo die ganzen Bayern gesteckt haben.
Ich habe auf der Tour etwa im Stundenrhythmus kurze Pausen eingelegt, Es reicht, drei Minuten auf den Füßen zu stehen und mal die Beine und den Po zu bewegen. Wenn man das nicht macht wird die Blutzufuhr unterbrochen und die Körperteile schlafen ein. Das Ergebnis ist, dass man nicht mehr sitzen kann. Ich kann jetzt schon vorwegnemen, dass die S51 trotzdem wunderbar langstreckentauglich ist.
Weiter ging es nach Schweinfurt und nach Kitzingen. Hier begann die schönste Gegend meiner Reise: das Maintal. Ich bin ich der Sonne an grünen Wiesen und sanften Hügeln entlanggefahren. Schließlich ging es direkt am Mainufer entlang. In einem Ort namens Marktbreit habe ich extra angehalten und bin ein paar Schritte am Main auf und ab gelaufen.

Da ich noch ein paar Kilometer zu reißen hatte ging es dann aber doch bald weiter. Hinter Ochsenfurt habe ich die B13 verlassen und bin in Richtung B19 / Bad Mergentheim weitergefahren. Als ich nach Gaukönigshofen kam standen plötzlich überall Autos am Straßenrand rum. Der ganze Ort war voller Menschen. Hier wurde irgendein Straßenfest gefeiert. Jetzt wusste ich, wo die ganzen Bayern waren: Hier! Es war eine Umleitung ausgeschildert, aber auch auf der konnte ich nur mit Schrittgeschwindigkeit zwischen den ganzen Menschen hindurch fahren.
Irgendwann war der Ortsrand erreicht und ich konnte wieder aufdrehen. Zwei Nester weiter in Euerhausen stand zum ersten Mal Stuttgart ausgeschildert.

Nun ging es auf die B19. Zu meiner Freude und Erleichterung war auch hier war fast niemand unterwegs. Bad Mergentheim war schnell erreicht.
Noch etwa 100 km bis nach Hause …
hatte ich, als dann schlagartig das böse Erwachen kam. Ich hatte gerade die B19 verlassen und war auf dem Weg nach Assamstadt. Auf einer gut ausgebauten Straße durch einen Wald ging es eine langgezogene Steigung hoch. Ich fuhr mit relativ viel Gas, hatte meine gewohnte Reisegeschwindigkeit von ca. 50 km/h drauf. Plötzlich war die Leistung weg und ich wurde vom Motor unter bösem Knurren hart abgebremst. Reflexartig hatte ich die Kupplung gezogen und rollte aus. Der Motor stand still. Während dieser Sekunden gingen mir schlagartig jede Menge Bilder von Motorschäden durch den Kopf: Kolben mit tiefen Riefen, senkrecht in Aluminium steckende Lagernadeln, gebrochene Kolbenringe, Fressspuren. Und schließlich nur noch vier schwarze Buchstaben auf gelbem Grund: A-D-A-C
Grad dachte ich mir noch "läuft doch alles prima" und im nächsten Moment stand ich am Straßenrand. Die Tachonadel stand bei Null. Das schlimmste in diesem Moment war diese plötzliche Stille! Grad hatte das Möpp mit seiner Sägerei noch die Vögel hochgescheucht und plötzlich schwieg es, sagte keinen Ton mehr. Mein erster Gedanke war: Kolbenfresser, Motor fest. Ein ratloser Blick auf das GPS gab mir die Auskunft, dass es nach Hause noch 100 km Luftlinie waren. Auf der Straße also locker 130 km.

Nun mal sammeln und mit Verstand gucken, was Sache ist. Leerlauf reingefuddelt und mal reingetreten. … Also, ähem … natürlich in den Kickstarter reingetreten…
Und oh Wunder, der Motor drehte! Nach ein paar Versuchen sprang er sogar an, starb beim Anfahren aber wieder ab.
Neuer Versuch, wieder ließ sich der Motor starten. Im Leerlauf rüttelte und schüttelte er ein wenig. War ich jetzt nur hypersensibel? Eigentlich ist das für einen Simsonmotor ja normal. Mit beherztem Dreh am Gasgriff konnte ich anfahren. Nach 100 Metern war am Straßenrand eine Haltebucht. Die nahm ich zum Anlass, meinen Spritkanister rauszuholen und den Tank aufzufüllen. Der Kanister war “mit Berg“ gefüllt, die 6 Liter sind reingegluckert.
Beim folgenden Startversuch sprang sie nur zögerlich an. Ich fuhr sehr vorsichtig los, erstmal nicht über 40. Sie lief und klang eigentlich normal. Trotzdem hatte ich auf den ersten Kilometern jederzeit erwartet, wieder so liegenzubleiben. Ich brauchte lange, um wieder etwas Vertrauen in die Maschine zu fassen. Ich wusste, dass bis nach Hause noch einige Berge bezwungen werden wollten. Jeden einzelnen bin ich mit gemischten Gefühlen im Bauch hochgefahren.

"Ein Vertreter der Ostfront!"
Trotz meiner Sorgen schlug sich mein Möpp tapfer. Ohne noch einmal zu bocken fuhr es von Ort zu Ort. Irgendwann kamen wir ins Hohenlohische, ebenfalls eine sehr schöne Gegend.
In Wilsbach an der B39 stand plötzlich ein Typ mit einem coolen Uralt-Motorrad an der roten Ampel neben mir. Er musterte mich kurz und rief dann rüber: "Aha, ein Vertreter der Ostfront!" Als ich ihm sagte, dass ich direkt aus dem Osten komme und heute schon über 300 km gefahren bin, konnte er das zunächst nicht recht glauben. Die Ampel wurde grün und vorbei war die Episode.
Nun war mein Ziel langsam zum greifen nah. Es kam das Heilbronner Land. Dann für mich so bekannte Namen wie Ilsfeld, Besigheim, Sersheim und Vaihingen/Enz.
Was mir übrigens noch aufgefallen ist: Wirklich GANZ Deutschland ist derzeit mit Wahlwerbung zugepflastert. Überall hängen zufrieden grinsende Politiker an den Laternen. Ich kanns bald nicht mehr sehen!
Die Sonne hatte sich inzwischen schon verabschiedet und es wurde wieder kühler. Als ich am Morgen losgefahren bin hat das GPS eine Zielentfernung (Luftlinie) von 297 km angezeigt. Jetzt waren davon noch 15 übrig. Aus 15 wurden 10, schließlich 5...
Angekommen bin ich schließlich um 1830 nach exakt 397 km.

Meine Frau stand auf dem Balkon und hat mich schon erwartet. Obwohl sie zwei Stunden nach mir losgefahren ist war sie zweieinhalb Stunden vor mir zu Hause. Aber ich hatte garantiert mehr Spaß und Aufregung auf der Reise als sie.
Das Durchschnittstempo lag mit Pausen und dem Liegenbleiber bei 41,8 km/h. Als ich bei der Routenplanung meine Meilensteine gesetzt habe, bin ich von 40 km pro Stunde ausgegangen. Rückwirkend betrachtet lag ich damit ziemlich nah an der Realität.
Nur mein Liegenbleiber lässt mir bis jetzt keine Ruhe. Ich werde das Maschinchen mal genauer ansehen müssen. Werde erstmal durch die Kerzenbohrung und den Auslass lunzen und eventuell mal dem Zylinder unter den Rock schauen.
Ach ja, und ich hab im Gesicht tatsächlich einen Sonnenbrand davongetragen. 
So, das war mein kleines Sonntagsabenteuer.
Hoffe, Ihr hattet Spaß mit der langen Geschichte.
Viele Grüße
Peter