Kilometerstand: 14 821
Mein Beitrag zum vierten Poetryslam im Kronenkino zu Zittau am 13.06.2019:
Mopedfahren
Ich liebe es, Moped zu fahren! Es gibt keine schönere Art der Fortbewegung! Ein kurzer Tritt am Kickstarter und schon knattert der kleine Zweitakter fröhlich los. Ich schwinge mich in den Sattel und die Welt ist mir untertan. Ich kann fahren, wohin ich will. Wann immer ich Lust habe, das Asphaltband zu verlassen, kann ich es jederzeit tun und mich seitwärts in die Büsche schlagen, oder was auch immer da grad ist, Felder, Wiesen, Wälder – da ist kein Terrain, vor dem uns angst ist, meinem treuen Roß und mir. Und wenn dort plötzlich ein fieser Graben ist oder Windbruch liegt auf der Strecke, nun denn, da hebe die Karre halt drüber, die anderthalb Zentner sollte ein Mann schon stemmen können. Oder abends, wenn die Kulturarbeit in der Kneipe wieder viel zu Lange dauerte, und auf der Rückfahrt stellt man fest, daß es wieder eine dieser Nächte ist, in denen die Straßengräben besonders heimtückisch und vor allem, so plötzlich, vor das Vorderrad springen. Wohl dem, der da nur eine leichte Maschine zu bändigen hat!
Ich liebe es, Moped zu fahren! Mit nichts anderem kommt man schneller durch die Stadt. Wenn an der Ampel ein Lkw steht, dann fährt man halt vor, stellt sich neben ihm, ein kurzer Blickkontakt, ein Nicken, und schon braust man bei grün werdender Ampel los, alles hinter sich lassend. Oder diese vielen Durchfahrten, wo so ein häßlicher rotweißer Boppel die Weiterfahrt für Autos hemmt – was soll‘s: Ich muß mich nur entscheiden, fahre ich links oder rechts vorbei. Oder durch die Parks und Grünanlagen: Wenn man die Stadt gut kennt, und ich kenne jeden ihrer Pflastersteine, offenbaren sich ungeahnte Abkürzungen und das Superelastikfahrwerk scheut sich auch nicht, treppabzufahren. Vor allem jetzt, wo die Stadt sich den Schlund mit Baustellen zurammt, ist so ein Roß, wie das meine, die einzig akzeptable Fortbewegungsart. Man kommt überall durch. Und wenn man doch einmal, mitgerissen vom feurigen Zweitaktsound, den freundlichen Photodienst der Stadtverwaltung in Anspruch nimmt; nun denn, die Sitti ist klein, nur wenn man’s nicht übertreibt, bleibt man unentdeckt.
Ich liebe es, Moped zu fahren! Man ist den Menschen so nahe. Nie flog ein böses Wort mir nach. Wann immer ich auf meinen zahllosen Touren, auf für Kraftfahrzeuge gesperrten Wegen, hinter den Brettern, die das Ende der Welt markieren, quasi quer durch die Pampa, wann immer ich da Menschen begegne, dann bremse ich ab, fahre weit rechts und grüße freundlichst die Passanten. Ebenso freundlich grüßen sie stets zurück. Und wenn jetzt einer fragt: „Warum mußt du erst bremsen, fahr doch gleich langsam!“, dem antworte ich ebenso freundlich: „Junge – mein Zweitakter ist fahrtwindgekühlt!“. Man ist den Menschen so nahe. Wenn ich abends an meiner Stammtanke bremse und die Sternburg-Ritter sitzen davor und schauen dräuend ins Zeitengewitter; da ist das fröhliche Geknatter noch nicht ganz erstorben, da sind wir schon mittendrin, in einem anregenden Fachgespräch über Tuningteile und Reinigungsmittel. Und wie sie sich an ihre Mopedzeit erinnern und wie sie glauben, Bescheid zu wissen! Meinen revolutionären Umbau erkennt sowieso niemand. Ich kläre sie auch nicht auf. Wir scheiden in Frieden. Und nie flog ein böses Wort mir nach…
Ich liebe es, Moped zu fahren! Einfach so, wie es ist. Man muß nicht tunen! Die Konstruktion ist doch perfekt! Naja, annähernd perfekt. Ein bißchen habe ich schon verändert. Einen verbesserten Luftfilter zum Beispiel. Davon fährt sie zwar nicht schneller, aber er verbessert spürbar, sonst ewiges Manko des Zweitakters, den Anzug bei niedrigen Drehzahlen. Manchmal kommt noch im zweiten Gang das Vorderrad hoch und dann erschrecke ich mich immer ein bißchen und murmele: „Brav, Schwarzer, brav!“. Eine verbesserte Zündung habe ich auch, aber das ist ja heutigentags schon fast eine Pflicht. Wer noch mit einer Sechsvoltanlage und fünfundzwanzig Watt Scheinwerferleistung als suizidales Glühwürmchen über die Bundesstraße kriecht, dem ist nicht zu helfen. Aber rasen will ich auch nicht. Wenn mein Tachometer sechzig Kilometer in der Stunde anzeigt, dann nehme ich das Gas weg. Geht es bergab, dann nehme ich den Gang heraus und lasse mich von der Schwerkraft hinuntertragen. Manchmal werde ich von anderen Simsons überholt, die sich immer diebisch zu freuen scheinen, einen der ihren überholt zu haben, so grinsen sie. Doch mich ficht das nicht an. Schaue ich mir die Fahrer genau an, dann erkenne ich nur Halblinge. Kein Kunststück also; ihre Maschinen müssen ja nichts tragen…
Ich liebe es, Moped zu fahren! Kommt es Euch kindisch vor? Da hatte ich einst mein schweres Motorrad, diese riesige Maschine, und mochte sie plötzlich nicht mehr. Aller drei Naselang Tüv-Termine, die mich streßten und wo ich nun auch noch als neues Hobby einen Garten in einem fernen Dorf erworben hatte; was brauchte ich sie noch? Ich brauchte Lastkraftwagen, Aggregate und Kettensägen. So hatte ich ein mobiles Hobby gegen ein stationäres getauscht, aber selbst das war noch nicht der ausschlaggebende Punkt, das war ein anderer. Hier am Arsch der Welt hocken die Menschen eng beieinander und die Wege sind kurz. Mit einem Motorrad kam ich einfach viel zu schnell von A nach B und alles schien mir noch kleiner zu werden, als es ohnehin schon war. Der Weg war nicht mehr Ziel genug. Also schaute ich mich nach einem preiswerten Moped um. Doch der Markt hatte sich in den zehn Jahren, die ich ihn nicht beobachtet hatte, auf eine erschreckende Weise verändert…
Ich liebe es, Moped zu fahren! Gegen alle Widerstände. Mit dem Kopf durch die Wand. Mein liebstes Hollywoodzitat: „Ein Mann muß tun, was ein Mann tun muß.“ Als ich dem Weibe an meiner Seite ankündigte, daß ich ein Moped wölle und mein Bruder einen preiswerten Scheunenfund für nur einhundert Euretten an der Hand habe, schrie sie mir entsetzt eine Ablehnung ins Ohr: „Niemals! Das ist infantil! Nur Verbrecher und Jugendliche fahren Moped!“, Nun ja, als berufsjugendlicher Hobbyverbrecher konnte ich mit diesen Vorwürfen durchaus leben. Ich sagte meinem Bruder zu. Der Scheunenfund sah grausam aus, doch trotz all dem nahm ich mich seiner an. Zu Heiligabend in jenem Jahr präsentierte ich mein neues Moped im strahlendsten Zustand. Das Weib kündigte mir alle Schwüre und rannte davon, das schreiende Neugeborene unter dem Arm geklemmt. Das war nicht die erhoffte Reaktion! Ich ging ihr nach. Ich stellte sie zur Rede. Ich blieb hart. Schlußendlich durfte die Maschine bleiben. Nun gehört das Roß zur Familie. Manchmal, und das freut sie immer diebisch, ertappt mich das Weib an meiner Seite dabei, wie ich abends, wenn ich nachtanke und es abdecke, die rassigen Nüstern tätschel und zärtliche Geräusche von mir gebe. Auch das ficht mich nicht an. Früher hatten die Ritter doch stets eine enge Beziehung zu ihren Rössern, denken wir nur an Rosinante oder Türkenschreck. Und wenn ich sehen will, ob es ihm gut geht: Ich brauche nur einen Schritt vor die Tür zu gehen, da steht es schon, und blinzelt mich mit seinem einen Auge freundlich an und ist immer bereit, mich überall hinzubringen. Ich liebe es, Moped zu fahren!
Tilo Schwalbe MMXIX