Ojeojeoje, doch schon so lange her...
Die Küche liegt in den letzten Zügen, endlich wieder leben wie ein Mensch, danach das Hochbett, und wenn alles geschafft ist, mache ich Interieurphotos für Euch und mich.
Und für Euch, als kleines Präsent fürs warten, einer der Gründe, warum ich keine Zeit für Nebensächliches, wie Moped im Winter, hatte und habe:
Mein Beitrag zum Poetryslam im Kronenkino zu Zittau am 13. Februar 2020, der erklärt auch 'ne ganze Menge:
O r t d e r E r d u n g
Die Schlüssel könne ich heut noch holen, sagt die Stimme am Telephon und erklärt mir wo. Keine halbe Stunde später parke ich den Wagen vor einem verlotterten Mietshaus. Kinderspielzeuge längst weggezogener Erwachsener sedimentieren auf dem verwilderten Bleichplan, ein Gleis trennt ihn von der Brache dahinter, einst Rangierbahnhof; ein Kraftwerk gab‘s hier, Spinnereien, das legendäre Ferrowerk, doch alles ist eingeebnet und in der Zeit verweht, nur die Fettchemie arbeitet noch, aber die rangieren nicht und im Birkenhain über dem Gleisschotter sagen sich Fuchs und Grenzschutz „Gute Nacht!“, die Neiße ist nah. Alles ist tot. Außer denen, die es müssen, will niemand hier leben. Nachdem ich eine Weile auf dem Klingeltableau herumgespielt habe, erscheint auch wirklich ein Hausmeister. Fröhlich an ihm ist nur das Rot seines Overalls. Seine Augen sind müde und leer, wie die von ihm umsorgten Häuser, in deren Wohnungen nur Tapeten und Dübellöcher noch davon künden, daß solch mauerumschlossenes Nichts einst Heimstatt war, bevor der ewig sich erneuernde Fliegendreck einzog. Ich will mich erklären, doch der Hausmeister winkt ab, ich bin avisiert. Umstandslos zaubert er einen Schlüsselbund aus einer seiner vielen Taschen. Und als würde ihm erst jetzt bewußt, wie selten solche Momente in seinem Berufsalltag noch vorkommen, lächelt er nun doch zaghaft und wünscht gutes Gelingen. Ich winke zurück und gebe Gas. Die Sonne rast auf zum Horizont zu und ich mit ihr um die Wette. Der alte Motor weitet seine Lunge und saugt mich aus dem Tal.
Ausgeträumt. Das ist es. Ausgeträumt. Wir hatten mal einen Hund. Das Weib war dagegen. „Er ist das Testkind“, sagte ich. Dreieinhalb Jahre darauf fraß ihn die Bundesstraße. Da war die Tochter schon da. Einen Sohn und neun Jahre später ist auch dieser Traum vorbei, der Traum vom braven Papa einer unauffälligen Durchschnittsfamilie. Nun kann ich sie ablegen, die Mimikry des verfetteten Vaters, die Larve des Spießers. Ich muß nicht mehr hinter der Gardine hocken, kann wieder auf der anderen Seite das Dunkel beleben und dafür sorgen, daß ihr nicht ganz umsonst zittert, ihr da, in Wärme und Sattheit. Und zu sein, wie ihr seid, will ich nie wieder versuchen. Mir geht es wie Riddick, gestrandet auf dem fremden Planeten: Ich bin ganz unten. Ich muß neu beginnen. Die alte Kraft wiederfinden. Alles auf null setzen. Bisher fehlte dazu nur die Basis. Als mein Wagen in den Schatten des Hauses taucht, weiß ich, ich habe sie gefunden. Das Blubbern des Motors stirbt. In die Stille hinein schwöre ich noch einmal: „Nie wieder will ich versuchen, euch zu gleichen!“.
Ich finde auf Anhieb den richtigen Schlüssel. Das Treppenhaus ist eng. Kisten und Stiegen machen den Durchgang noch schmaler. Die Tür geht nicht ganz auf, dahinter auch Schachteln und Beutel. Die Decke hängt voller Spinnweben, an den Wänden sind Mitteilungen des Vermieters, Pinnwandnadeln stecken im Putz. Drei Türen, vor zweien tanzen ebenfalls Spinnweben, aus der dritten dröhnt lauter Fernsehton. Die Treppe knarrt. Ihre zweite Stufe ist kaputt, Schrauben ragen heraus, aber Krach macht jede von ihnen. Das Obergeschoß. Schuhe liegen herum, ein schmieriges Kasserolle, ein Bierkasten, eine Bananenkiste mit Grillbesteck und Blumentöpfen. Auch hier plärrt der Fernseher. Aber die rechte ist Tür ist frei. Meine Tür! Bedächtig führe ich den Sicherheitsschlüssel in den Schließzylinder. Die Tür schwingt auf. Ich trete ein. Tote Luft empfängt mich. Ich durchschreite den Flur. Ich habe die Sonne besiegt: Ein letzter staubdurchtanzter Strahl illuminiert die winzige Stube und mir diesen Moment. Doch schon erzittert er, färbt sich rot und erlischt. Und die endlose Novembernacht beginnt…
Oh, wie gerufen kommt mir dieser neue Kobel! Das Winterdunkel hatte Einlaß gefunden und hub an, am Fundamente der Seele zu nagen. Das ganze Gebäude wäre eingestürzt unter der erzwungenen Untätigkeit der Hände. Doch nun, diese Wohnung! Was ich darin mache, wie ich es mache, all das ist meine Entscheidung. Sie ist mir Werkzeug und Heilmittel gegen die Kümmernisse des Novembers. Sie ist Rettungsring. Sie lenkt ab. So hilft sie mir und das Wunder geschieht: Während draußen alles ins Dunkel fällt und die Finsternisse immer gieriger nach dem Gemüte greifen, gewinnen sie es trotzdem nicht, denn es ist beschäftigt mit der Logistik einer Renovierung. Komme ich voran, plane ich Einbauten und Verbesserungen. Und während ich denke, gehen die Hände nicht müßig, wird emsig gegipst, gestrichen, geleimt und geschraubt. Die Nacht wird durchgearbeitet und erst wenn die Augen vor Müdigkeit schmerzen, falle ich auf die Matratze. Und kein böser Gedanke erreicht mich mehr…
WAAAS, nur 10 000 Zeichen??! Ihr Legastheniker!
Fortsetzung folgt irgendwann (nichma Doppelpost geht mehr...)
Der eilige Tilo