Kilometerstand: 8777 km
Ich wünsche uns allen ein gesegnetes und simsonfreundliches Jahr 2018, mit preiswerten Ersatzteilen, erschwinglichen Versicherungen und einer devoten Rennleitung.
So. Ich tat es. Ich behauptete zwar weiter oben, daß ich mir nichts mehr beweisen müsse, aber vor der Wahl stehend, mit Weib und Kind zu Fuß über fast senkrechte Paßwege aufzusteigen oder mit dem Lastenmoped die schwersten Gepäckstücke fahrend zu transportieren, fiel mir die Entscheidung leicht.
Am Freitag begab ich mich mit dem Auto oben zur Grenze in Waltersdorf und obwohl die Schneegrenze nur wenig tiefer lag und das Weiß der Wiesen fleckig, war der Weg mit einer dichten Eisschicht bedeckt. Da hinauf traute ich mich mit meinem Glättexprofil nicht. Aber da ich einige Wochen nicht gefahren war, mußte ich eh an einer Tankstelle den Reifenluftdruck kontrollieren, also ein Umweg war notwendig. Der Sonnabend kam. Ich brachte gegen drei Uhr mit dem Wagen Weib, Kinder und Handgepäck zur selben Stelle und sie stapften los. Ich fuhr bei bestem Wetter, klarer Sicht und Sonnenschein heim und packte meinen Rucksack fertig. Beim Verlassen der Wohung schaute ich kurz aus dem Fenster. Das war ein Fehler. Dicht fiel der Schnee in großen fetten Flocken. Ich wartete ein wenig. Der Schnee fiel noch dichter. Ich trat mir in den Hintern, sagte: "Na ois denn..." und nahm mir vor, sollten die Witterungsunbilden unüberwindlich werden, umzudrehen. Planmäßig belud ich das schnell einschneiende Roß. Doch da wir diesen Jahreswechsel ein Zimmer sicher hatten, fiel weniger Gepäck an, als im Jahr zuvor. Glücklich kam ich vom Hof.
An der Tankstelle in Warnsdorf bemerkte ich, daß ich erstaunlich wenig Luft verloren hatte, nur ein halbes Bar und korrigierte dies. Auf Höhe Ortsausgang stellten sich sehr arge Seitenböen ein, die mich in Richtung Straßengraben drückten. Nun ja, besser als wenn sie von rechts gekommen wären... Noch vor dem Ortseingang Niedergrund entschied ich mich, doch lieber im zweiten Gang zu beiben, die Straße war zwar eisfrei gesalzen aber nicht geräumt und voller Matsch. Sowie Lichter im Rückspiegel zu sehen waren fuhr ich rechts ran und ließ sie vorbei. So war mir einfach wohler. Kurz vor Sankt Georgenthal erreichte ich die große Hauptstraße Rumburg - Röhrsdorf. Ich fuhr links, ließ in Innozenzendorf noch einmal alle vorbei und dann lag er vor mir: Der Schöber. Dreispurig, ungeräumt, und, bis auf zwei Kurven, schnurgerade himmelan führend. Ich schickte ein Stoßgebet durch die Wolken, wischte noch einmal das Visier klar, versuchte den rechten Asphaltrand zu erahnen, lehnte mich so weit wie möglich vor und gab Gas.
Es klappte besser als erhofft. Einige Pkw, deren Kutschern es ausgerechnet an der Steilwand einfiel, die Schneeketten aufzuziehen, standen am Fahrbahnrand und guckten erstaunt, als ich an ihnen vorbeizog. Einige Autos mit Warnblinkanlage kamen mir mit langsamstmöglicher Geschwindigkeit entgegen, wahrscheinlich besonders sportliche Fahrer, die sich mit Sommerrädern winters ins Gebirge wagen. Nach zwei Drittel der Strecke mußte ich in den ersten Gang gehen. Der Verkehr achteraus hielt sich zurück, ich mußte nur einmal zwischen den Kurven rechts ran. Nach der zwoten lag links der Kammparkplatz, den ich links liegen ließ. Nun ging es bergab. Die Gegenfahrspur war mit Lkw zugestellt, die nicht mehr vorankamen. Nun fuhr ich ganz langsam herunter...
Nur wenige Höhenmeter tiefer befindet sich ein bewaldetes Plateau mit einer einsamen Pension, von einer Bahnlinie durchschnitten. Hier befindet sich eine Kreuzung, rechts geht es nach Böhmisch Kamnitz, der weltberühmten Geburtsstadt Johannes Hegenbarths, und links nach Oberlichtenwalde, wieder leicht bergan. Es lag und fiel der Schnee so dicht, daß ich aus Versehen zuerst daran vorbeifuhr. Hier nun war gottlob kaum noch Verkehr. Bis zum Ziel meiner Reise begegneten mir noch allerhöchstens von vorn oder hinten noch fünf Pkw und ich ließ sie vorsichtig passieren. Ansonsten war ich allein auf der Welt. Der Sturm heulte im Fichtenwald und der Schnee, inzwischen scharf und feinkörnig, biß mich ins Kinn. Die vier äußeren Fingerspitzen meiner rechten Hand begannen abzusterben, obwohl sauteure Hightechhandschuhe sie umhüllten. Aber trotz allem befand ich mich wohl. Die schmale Bergstraße war seit der Kreuzung mit einer durchgehenden, aber unebenen Eisschicht bedeckt, da der Asphalt darunter auch nicht der beste ist, hier auf dieser hinterletzten Nebenstraße... Doch der Pulverschnee darüber gab genügend Grip. Unschön waren nur die Stellen, an denen rechts keine Bäume standen. Dort hatte der Sturm das Eis blankgeblasen und ich passierte diese ganz langsam. Ich konnte nicht mal die schöne Aussicht genießen...
An einer Stelle war die Steigung wieder steiler und ich gab im zwoten Gang Vollgas um gut hochzukommen. Dabei geriet ich in eine eisige Spurrille unter dem Schnee, das Hinterrad brach aus und das ganze Roß bockte. Sofort versuchte ich es mit beiden Füßen abzufangen. Es bockte aber weiter. Da bemerkte ich erst, daß ich noch Gas gab. Als ich es zurücknahm, bekam ich auch die Gewalt über das Fahrzeug wieder.
Scheinbar ewig fuhr ich durch Schnee und Sturm, die Strecke schien kein Ende zu nehmen. Da, noch ein paar häßliche blankgepustete Stellen in einer scharfen Serpentine, rechts immer der Abgrund, und nun ich sah das Ortseingangsschild von Oberlichtenwalde vor mir. Hier bog ich gleich an der ersten Kreuzung falsch ab. Der Weg wurde immer schmaler, die Gehöfte immer seltener und schließlich sah ich keine Straße mehr, als ich durch immer höhere Wehen brach. Am letzten Haus wendete ich. Im Licht, das aus den Fenstern fiel, sah ich, daß ich schon auf der Terrasse war und zog dort meinen Bogen. Also fuhr ich zurück und nahm an der Kreuzung die nächste Abbiegung. Hier war ich richtig, Schilder wiesen mir den Weg zur Pension "Lauschebaude" im Jägerdörfel, einem Ortsteil Oberlichtenwaldes. Hier, am Fuße des höchsten Berges der deutschen Oberlausitz, lag mein Ziel. Kurz bevor ich auf den Hof fuhr, begenete mir noch eine Gruppe Wanderer, die ob meines Erscheinens begeistert in eine spontane Laolawelle ausbrachen. So wie ich nach achtzig Minuten Fahrt vor der Kneipentür den Motor ausmachte, kamen mir auch schon Weib und Kind entgegen, lag doch die Stelle, an der ich sie absetzte, nur knapp einen Kilometer nördlich. Mein Komplettresümee ist: Es war weißgott keine Spazierfahrt, aber ich hatte es mir schwerer vorgestellt.
Noch während ich das Moped in die Pensionsgarage einschloß tobte der Schneesturm. Drinnen versank ich, alles um mich herum vergessend, in einer Doppelkopfrunde. (Auch so eine aussterbende deutsche Tradition: Das Kneipenkartenspiel, explizit Doppelkopf. Wann findet man noch wo drei begeisterte und fähige Mitspieler? Ich nur noch einmal im Jahr, am vorletzten Tag des Jahres, dort oben. Dieser Abend ist immer so schön, daß der Folgeabend mir völlig schnurz ist...) Schon als ich einszwei Stündchen später kurz draußen Luft schnappte, war es mild und windstill. Alles taute wieder.
Als ich am Neujahrstag dann auf dem kurzen Weg bergab fuhr, waren nur noch wenige Streckenmeter auf dem steilsten Wegstück mit einer Eisschicht bedeckt. Diese passierte ich mit der üblichen Vorsicht und ab der Grenze dann waren alle Straßen trocken und frei. Kurz bevor ich von dort abfuhr, traf ich noch einen alten Bekannten. In seiner Gesellschaft befand sich ein großäugiges Frauchen, welches sich mir als eine begeisterterte Trabbifahrerin und -schrauberin vorstellte. Sie sagte, sie schreibe auf einer Trabbischrauberseite über ihre Erlebnisse und bat mich, mein Roß photographieren zu dürfen, was ich ihr erlaubte. Also, falls irgendjemand von Euch auf irgendeiner Trabbiseite ein Bild meiner Mohpeete sieht, es entstand in jenem Momente meiner Abreise.
Nun also hat das neue Jahr begonnen und ich muß mich in den Hintern treten und endlich die Teile abbauen, die beschichtet werden sollen. Ich hab bloß keine Lust, bei diesem Wetter im kalten Schuppen zu sitzen und zu schrauben...
Außerdem wird mein kleiner Racker in diesem Jahr vierzig Jahre alt. Ich weiß noch gar nicht, womit ich ihm eine Freude mache...
Und nicht vergessen: Ein Schock Minuten ist 'ne Stunde!
Bis zum Wiederlesen grüßt
Tilo