"SIE WOLLEN WAS ?" fragte mich der Mann am anderen Ende der Leitung und begann kräftig zu lachen.
Er hatte richtig gehört, ich wollte den Vogel persönlich heimfliegen.
Alles fing mit einer Anzeige im Internet an, Simson SD50 fahrbereit/noch angemeldet.
Telefon in die Hand genommen, durchgeklingelt. Danach zwei Stunden geplant und organisert.
Der Deal steht. Das war Donnerstag Abend. Schnell noch das Bahn-Ticket online gekauft und mit einem Kribbeln im Bauch schlafen gelegt.
Am Freitag nochmal arbeiten gegangen. Mir war immer noch mulmig. Extra früher Feierabend gemacht und ab nach Hause. Da ging es erst richtig los mit der Organisationstour. Essen und Ersatzteile gekauft. Sogar wärmende Knickpads aus der Apotheke für die Fingerchen. Wieder zu Hause gleich in die Werkstatt gestellt und den Fräser in den 50cc-Zylinder gehalten. Bowdenzüge, Konservierwachs, Panzertape und und und. Ich hab mir sogar einen zweiten Satz Kleidung zusammengestellt inkl. Regenkombi. Ja ich war vorbereit.
Inzwischen 0.30Uhr legte ich mich schlafen. Vier Stunden später klingelte der Wecke.
Gegen halb sechs konnte ich dann endlich im Zug Platz nehmen. Nach einem Kaffee und zwei geflügelten Bullen war ich dann auch halbwegs wach. Halbwegs...
Aber Fortuna bescherte mir feinstes Winterwetter und Klara lies sich auch blicken:
Nach den Glaskugellesern vom Wetteramt sollte es Niederschlag geben. Aber glücklicherweise können die Fachidioten nichts, garnichts.
Mittlerweile ist mir eingefallen, dass ich meine Knickpads vergessen hatte. Das war aber auch das einzigste, was mir ein- und auffiel.
10.00Uhr kam ich dann in Hannover am Bahnhof an. Überall Polizisten und ich vollgepackt mit Werkzeugtasche und linksseitiger Schieflage dank bockschwere Reisetasche. Aber es war wohl Hannover96-Spiel und die waren nicht zur zivilen Allgemeinsicherheit da - Eine Filzung hätte mir gerade noch gefehlt mit Benzinkanister im Handgepäck :biggrin:
Gegen 10.40 nahm ich dann endlich meinen Albatros in Empfang. Mein Handgepäck hat haargenau reingepasst. Gut geschätzt.
Und der Vekäufer war ehrlich, täglicher Gebrauch bedeuteten auch Winterfahrten. Ich sparte mir das Konservierwachs, die Straßen waren sowieso trocken und ich konnte ruhigen Gewissens die Fahrt antreten. Naja, fast. denn es waren ja 60cc verbaut. Das wusste ich auch. Was ich nicht wusste: Sportluftfilter und KS50-Auspuff. Ohje.
Ach egal. Albatros kennt sowieso kein Polizist, also würde das rausreden nicht schwer fallen. Hoffte ich.
Fix noch Winterfell angezogen und gegen 11.30 gings los.
Aus der Garage raus, rechts gelenkt. Aber der scheiß Vogel fuhr gerade aus. Gerade noch vor einem Auto die Kurve bekommen. Mit drei Rädern fährt es sich eben ungewohnt anders. Als ich dann die 30km/h-Grenze überschritt, kam das nächste Probleme: Lenkerflattern vom Allerfeinsten. Wenn ich die BWLer in die Finger bekomm, die die Lenkungsdämpfer von der Teileliste gestrichen haben. Gnade denen Gott. Selbst der dümmste Ingenieur kann so einen Mist nicht verzapfen.
Ja, man merkt eben bei den Nachwende-Modellen den Westeinfluss. Sowohl in positiver als auch in negativer Richtung.
Die ersten 20km kam ich schnell vorwärts, die Kennenlernphase verlief positiv und da der Motor ab 55km/h das Klingel-Rasseln anfing, beschloss ich mich bei 50-55 einzupendeln. Bis ich nach Alfeld kam. Die Beschilderung war wirklich knusper, ideal um Fremde an die heimischen Tankstellen zu zwingen. Ich irrte also wie ein angeschossenes Reh durch diese verdammte Stadt. Nach einer halben Stunde war ich wieder auf Kurs. Wertvolle Zeit und Kilometer verloren.
Kurz danach Bad Gandersheim, die gleiche Geschichte. Wenn das so weitergeht....
Ich entschied mich fürs Risiko und Gashahn auf. Ersatzzylinder im Gepäck und der Motor lief ja nicht erst seit 100km mit diesem Setup. Außerdem wollte ich beizeiten zu Hause ankommen. Gutes Öl gabs ja auch noch. Der Vorbesitzer hatte sich auch die Mühe gemacht und den Vergaser neu abgestimmt. Jedenfalls halbwegs.
Nach ungefähr 50km hatte ich mir auch angewöhnt, die Füße beim Stillstand auf den Trittbrettern zulassen
Hoffentlich falle ich nicht das nächste Mal auf einem Zweirad um.
Gegen 14.30 hatte ich 120km hinter mir. 40km/h im Durchschnitt, recht ordentlich. Kalkuliert hatte ich 33km/h, aber mit 10min Pause pro Stunde. Ich hatte aber auch alle Pausen wegfallen lassen. Vamos, vamos, vamos.
Bis auf 550m sind wir geklettert. Aber irgendwann gings auch wieder abwärts. Ich erreichte sogar 81km/h Spitze. Zum Glück waren die Straßen sehr gut und ich konnte recht problemlos diese Geschwindigkeit fahren, da bei schlechten Straßen das Lenkerflattern anfing. Durch die kalte Luft lief der Albatros richtig sahnig. Mir lief dafür die Nase. Egal, Zeit fürs Ausputzen gibts beim Tanken.
Ich konnte sogar auf leichten Steigungen bis in den 4. auf 65km/h durchbeschleunigen. Bis es zum wiederholten mal BOOOAÖÖÖÖÖ machte. Fix auf Reserve gedreht (garnicht so leicht mit Lenkerflattern und Panzertape von der Karte am Benzinhahn...) doch es wollte nicht. Gott sei Dank kam gerade eine Parklücke, davon gabs im Harz seeeehr wenig, ansonsten gabs nur Leitplanken.
Kurz nach dem Benzin geschaut. War noch halbvoll. Nochmal gekickt, ging wieder. Span an der Kerze, dachte ich.
Weiter gehts.
Auf meinen google.maps hatte ich extra Autobahnen vermieden. Woran ich nicht dachte, waren Kraftfahrstraßen. Genau das wurde die B242. Ich war dann aber dennoch so frei
Im Harz war aber auch verdammt viel Schnee.
Langsam knurrte der Magen, aber ich wollte im Tageslicht noch so viele Kilometer machen wie es geht.
Den lustigsten Ortsnamen hab ich auch noch fotografiert:
Gegen 17.40 war es dunkel, ich hungrig, es dunkel, ich südlich von Querfurt, es dunkel und der Tacho zeigte 270km an.
Trotz Vape war das Frontlicht eine Funzel.
Achtung, jetzt wirds schwarz: Wenn man auf einem Albatros von hinten durch Autos angeleuchtet wird, sieht der Schatten wie ein Rollstuhlfahrer aus.
Ich musste pausieren, langsam verfolgte mich der Schlafmangel. Ich griff wieder zum geflügelten Bullen. Mittlerweile hab ich genug B12 für die nächsten 2 Jahre intus.
Irgendwann blieb ich auch ein drittes Mal liegen. Das war aber noch am Tage. Wieder Spritmangel. Aber der Tank war halbvoll. Bis mir aufgefallen ist, dass ich meine Landkarten unter den Sitz geklemmt hatte und diese das Entlüftungsloch des Tankdeckels verschlossen haben. Welch Schmach für einen ehemaligen SR50-Fahrer. Hauptsache kein Schaden am Motor.
Nahe Naumburg hab ich dann das drittel Mal den Kanister voll gemacht. Bisher hatte ich nur 10l getankt und die ca 2l, die noch im Tank waren. Wieder von der Tankstelle losgefahren war das Tacholicht aus. Klasse. Schätzeisen per Auspuffgeräusch. Durch die vielen 70-75km/h Passagen hat es mir mehrmals und immer öfters die Plane gezogen. Die brauch mal einen neuen Spanngummi. Hatte schon Angst, dass es mir Zeug rausgefleddert hat. Aber bis jetzt vermiss ich nix. Hab sie dann festgetaped. Mittlerweile konnte ich auch das defekte Tacholicht beheben: Einfach den Zündschlüssel von der 1 auf die 2 drehen.
Kurz vor Gera kamen dann auch mir bekannte Ortsnamen, ich fuhr ohne Karte weiter. Welch Fehler. Wieder auf eine Kraftstraße geraten. Und die erste Ausfahrt verpasst. Kurzer Blick in die Spiegel, kein Verkehr hinter mir. Auf dem Seitenstreifen zurück gerollt. War zum Glück leicht abschüssig.
Und wieder in Gera wie ein angeschossenes Reh geirrt.
Für die nächste Tour kommt ein Navi mit.
Die insgesamt 12l haben dann bis nach Hause gereicht. Da wäre ich gegen 21Uhr angekommen, habs mir aber nicht nehmen lassen, vorher noch bei einem Kollegen anzuhalten und ihn mal etwas sabbern lassen
Ich war dann irgendwann nach der neunten Stunde zu Hause. Völlig erschöpft, leicht unterkühlt, aber überglücklich. Die Fahrt verlief reibungslos und das Wochenende hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Ich besitze nun einen Albatros
kurze Eckdaten der Tour:
-Tourlänge geplant: 320km
-Tourlänge benötigt: 396km
-Gesamtzeit geplant: 10h
-Gesamtzeit benötigt: 10h
-geplante Durchschnittsgeschwindigleit: 33km/h (mit Pausen)
-effektive Durchschnittsgeschwindigkeit: 39,6km/h (mit Pausen)
-reine Fahrzeit: 8h
-gefahrene Durchschnittsgeschwindigkeit: 49,5 km/h. Nicht übel für 45 lauf Papiere
-Durchschnittsverbrauch: 3l trotz 350km Dauervollgas.
Achja, und ich besitze einen Albatros