Beiträge von [email protected]

    Also lieber fehlgezündeter Uferbewohner:
    - der Satz ist wunderschön,
    - er ist nicht zu lang,
    - Du formuliertest ihn grammatikalisch korrekt (naja, nur ein "n" vergessen),
    - wenn Du jetzt noch anfingest, "ja" zu sagen zu Großschreibung und auch dem netten kleinen Atemholstopschild namens Komma häufiger zu seinem Recht verhülftest, dann, ja dann ---
    --- hätt ich schon so ä bissl den Eindruck, mein nur dezent spracherziehendes Wirken sei nicht völlig umsonst geblieben...


    Es sei Dir gestattet, Rennköllner, es sei Dir gestattet. Aber nur 'n bissl länger...


    Herr Lehmann, der Fehler ist korrigiert!


    ...nu is aba wieder Ruhe ann Sunntsche!
    Tilo

    Kilometerstand: 18 991


    Kameraden, wir sind wieder beieinander! Ich danke Euch für Eure Hilfe und Euren Einsatz! Das freie Wort hat noch einmal gesiegt. Wollen wir alles dafür tun, daß es auch so bleibt!


    Warum ich jetzt allerdings meinen Simson-Vollschwingen-S-Klasse-Langzeiterprobungsstrang in einem Café weiterführen soll, ist mir kryptisch. Naja, bestimmt zerlegt Herr Tacharo seine Motoren daheim auch auf dem Küchentisch seines Weibes, neben Schweinemett und Bratkartoffeln. Mir soll es recht sein, sitzen wir halt in einem noblen Café, in dem es hoffentlich auch gutes und preiswertes Gezaptes gibt. Der große Joseph Roth schrieb seine berührendsten Werke gleichfalls an den Tischen der europäischen Kaffeehäuser und trank sich langsam dabei zu Tode... Also, wer bedient? Ich hau' alle Likes und Punkte auf den Tisch und schmeiße eine virtuelle Saalrunde! Und noch eine und noch eine, bis die Kröten verpulvert sind --- und dann simma wieder ernst.


    Ich gab mich jetzt einer Grenzerfahrung hin. Mein Rittergut habe ich seit 2002. Seitdem hatte ich mir vorgenommen, irgendwann mal einen Grund zu finden, nach Zittau zu laufen. Es sind etwa zwöf Kilometer. Nun endlich hatte ich ihn. Ich fuhr mit der Mockte nach Zittau und von dort mit dem Zug nach Berlin und parkte dann mit meiner neuen Edelkalesche wieder am Landsitz ein. Aber ein Ritter braucht sein Roß! Ich will es aus dem Küchenfenster sehen, wie es auf der Terrasse steht und mich traulich mit seinem einen Auge anblinzelt. Also zog ich mich bei anderthalb Grad Celsius warm an, setzte den Walkman auf und stiefelte Punkt zwo Uhr los. Es war starker Nebel, der fast volle Mond spendete sein fahles Licht, daß aber in Bodennähe in der Suppe ersoff. Die Silhouetten kahler Bäume trieben an mir vorbei, wie gespenstische Skelette, die aus dem Unklaren nach mir griffen, doch blieb ich in Bewegung und hinter mir versanken sie wieder in der Watte. Keine Autos fuhren und die wenigen Straßenlampen hingen wie fluoreszierende Plinsen in der dicken Luft. Ich lief mit raumgreifenden Schritten in einem guten Tempo, wie das Knie es zuließ. Ich hatte mit fünf Viertelstunden gerechnet und brauchte exakt die doppelte Zeit, bis ich durchgeschwitzt in meinem Bureau ankam. Dann duschen, umziehen, Kaffee und heimfahren. Jetzt habe ich das Erlebnis einer spannenden Nachtwanderung in mir und mein gutes Roß wieder um mich!


    Noch ein Nachsatz zur Technik: Zur Zeit bin ich extraordinär klamm, Umzug, Auto, usw., usf.... Wenn sich das wird wieder eingerenkt haben, ich schätze mal so Winter zwanzig, einundzwanzig, dann wird es hier auch wieder technischer: Die MZ-Nabe will ich nach wie vor noch eingebaut haben und Totokings Teil endlich seiner Verwendung zuführen. Versprochen, das wird und ich werde davon erzählen! Ihr wißt ja: Simsonfahrer sind nicht so schnell, aber dafür gründlich und langsam...


    Mein neues Auto. Ein Audi B5, wie mir die Papiere verraten, vierundzwanzig Jahre alt, einstens dunkelgrünblau, nun mit vielen lustigen Beulen und Narben, bedeckt mit schwärender Rostschutzfarbe, knapp 260 tkm sind runter, vierundsiebzig Kilowatt Benziner - das sind, glaube ich, glatt hundert Pferdestärken, vier Zylinder, vier Sommer- und vier Winterräder, TüV bis März einundzwanzig, latent leichter Kühlmittelverlust, hypersensible Servolenkung, Dauermacke am Automatikchoke (hat den Vorbesitzer urst angekotzt, macht mir aber kaum zu schaffen), innen noch immer der gehobene Mittelklassewagen, der er einst war, nur mit der Patina ehrlich verdienter, äußerster Abgewetzheit (aber immer noch viel besser erhalten, als der Logan nach nur zehn Jahren Orktransport), das Aufblendlicht geht gern spontan aus, unangenehm bei hundertfünfzig auf der Autobahn, aber man kann sich dran gewöhnen und bei einer von etwa fünf Losfahrten gehen sogar Tachometer und Drehzahlmesser - sonst ist Blindflug. Und all das für nur einhundertfünfzig Zacken, das ist doch sensationell, oder?! Ich hoffe nur, die Unterhaltskosten fressen mich nicht auf. Ebenfalls hoffe ich, mich nicht damit umzubringen. Bisher pries ich immer die lebensverlängernde Wirkung leistungsarmer Fortbewegungsmittel, doch ist dies das stärkste Auto, welches ich je besaß. Dies kann mir zum Verhängnis werden, denn (Achtung Timo!) als Spätfolge zu langen Trabantfahrens habe ich einen krankhaften Bleifuß und alle anderen sind mir, sitze ich im Auto, stets und ständig viel zu langsam. (Ich habe es dieser Tage zur Mittagsstoßzeit vom Garten nach Görlitz Nord in fünfundzwanzig Minuten geschafft - das geht eigentlich gar nicht - da hatte ich schon ein bißchen Angst vor mir...) Sobald ich vermag, werde ich Euch ein paar Bilder von August (ob ich ihn nach seinen Namensgeber so nenne - den "Rostigen August"?) zeigen. Cruisen tut er sich jedenfalls herrlich: Wie das Schesselong meiner Urgroßmutter, auf dem ich als Bub immer turnte...


    Tja Marko und Oppa, mein Gewicht. Ihr habt Recht. Ich wurde weniger. Und jetzt wollt Ihr mir meine geheimen Abnehmtips abluchsen? Meine Körpergröße ist 191,5 Zentimeter. Als ich damals hier anfing, es war nicht gelogen, schwankte ich zwischen 125 und 127 Kilogramm. Meinen Negativrekord von 129 Kilogramm aus den Neunzigern, konnte ich, gerade so, aber immer noch gerade so, erfolgreich vermeiden. Aber ich fühlte mich nicht fett und kam mir nicht unbeweglicher vor als sonst. Nur wenn ich mich auf Bildern der vergangenen zehn Jahre sehe (als Photograph steht man halt meistens hinter der Kamera und so viele gibt es da gar nicht) und vergleiche, dann erschrecke ich. Ich fraß doch viel mehr in mich hinein, als ich wahrhaben wollte und auch wenn ich auf ihnen grinse und meine Babyjahre (bundesdeutsch: Erziehungszeit) an der Seite der Orks genoß --- ich war unglücklich und habe es nicht bemerkt. Das sehe ich erst heute im Vergleich...


    Tja, einige Tips kann ich Euch verraten, die, denen ich, glaube ich, am Meisten verdanke und es ist nicht nur der Sport. Dort war ich seit Ende Juni wegen des Kinos, der Verletzungen und Operation nicht mehr. Es geht los mit Obst. Um die Jahrtausendwende herum prägte ich den Spruch "Der Mann über dreißig sagt ja zu Vitaminen!". Das stimmt. Nur geht testosterongesteuerten Menschen Obst manchmal etwas sperrig durch die Kehle. Da hilft nur eins: Ausschließlich Obst kaufen, das man mag und dann viel und viel davon essen. Bei mir sind das Khaki, Mango, Nektarine, Banane, Kiwi, Apfel und hartgrüne Birnen. In dieser Reihenfolge. Und jetzt der wichtigste Rat zum Grünzeug: NIEMALS als Nachtisch!! Obst marschiert schneller durch das Verdauungssystem als anderes. Obst nach dem Hauptgang ist für den Körper genauso nützlich, wie würfe ich es aus dem Fenster und hoffte dann auf Besserung. Obst nur als Vor-, Allein- oder Zwischenspeise verwenden!


    Die nächsten Tips sind Binsenweisheiten: Meide das Fleisch von Mehrlingsgebärern, die dem Menschen genetisch nahe sind - also Schwein. Obwohl es in der heutigen Zeit einem patriotischem Bekenntnis gleichkommt, ja zu diesem Fleischproduzenten zu sagen, versuche ich, ihm aus dem Wege zu gehen. Ich bin auch nur ein normalarmer Mensch und esse urst gern Fleischprodukte und da lockt das preiswerte Schweinefleisch natürlich sehr. (Bei dieser leckeren Salami in der böhmischen Penny-Kaufhalle konnte ich gestern auch nicht nein sagen: Ein kantiger(!) Riesenrunken, auf achtzig Kronen gesenkt, da schlug ich zu --- ich bin auch nur ein Mensch...) Wo es geht, ausweichen auf Hühnerfleisch, das ist auch preiswert und wesentlich gesünder. Es kann zwar kein Grillsteak ersetzen (wer kennt noch das deutsche Wort für "Steak"? - Rippenschnitte!), sonst aber vieles!


    Wo immer es geht, wo immer es geht, wo immer es geht Weizen, Roggen, oder ähnliches Dreckzeug durch das antikarziogene Dinkel, ich wiederhole Dinkel, zum Mitmeißeln D I N K E L ersetzen!! Das Zeug ist ein hiesiges, natürliches, deutsches Getreide, krebsverhindernd und so gesund, daß ich mich wundere, daß die Politik es nicht genauso verdammt, wie den Hanf. Aber, achtet auf die Zutaten: Keine Beimischungen, nur reine Produkte! Ich bekomme kein Geld dafür, muß hier aber jetzt trotzdem mal Werbung für den Konzern "Kaufland" machen, die haben ein sehr gutes Dinkelangebot - meine zwei Tips: Preiswerte reine Dinkelbrötchen und verschieden gemahlene Dinkelmehle, von denen allerdings nur eines empfehlensert ist: Dinkelvollkornmehl. Nicht viel teurer als ungesunde Mehle, ich glaube sechs bis acht Groschen das Kilo. Ich verwende es seit Jahren für meine Buchten und es erzeugt einen angenehmen leicht nussigen Geschmack. Ach so, da wir gerade beim Backen sind: Ausschließlich Rohrohrzucker, keinen Rübenzucker verwenden!


    Entsäuern! Körper, Haut, Nahrung, Kleidung, Verdauungssystem. Wenn man es direkt in der Saline bestellt, kosten fünfundzwanzig Kilogramm Natron im Sack nur etwa fünfzehn Neumark. Das ist viel preiswerter, als das gleiche Produkt unter dem Namen "Bullrichsalz" in der Kaufhalle. Vergleicht mal!


    Nun der wichtigste Tip. Da gab es vor einigen Jahren einen Film eines engagierten Australiers, ich dächte, er hieße "Voll verzuckert" oder so ähnlich. Der Umstellung auf seine Ernährungsweise verdanke ich einen großen Teil meines Gewichtsverlustes. Aber ich beginne am besten von der anderen Seite...


    Denkt an früher. Wie war es denn da, wie war es bei mir, wie war es bei Euch? "Jungchen, haste Hunger? Hier nimmocke nochne Semmel!" - "Verdammich Junge! Schmier die Butter nich so dikke!" (Wißt ihr, das Butter im Slawischen - Tschechisch, Russisch, Polnisch - "maslo" heißt? Meine Eselsbrücke dahin war immer Vaters Flehen, doch die Butter nicht so maßlos zu verwenden.) Und dieses Denken muß komplett über Bord geworfen werden, oder besser: Genau andersherum ist es richtig. FETT MACHT SATT, BROT MACHT DICK! Ich verwende ausschließlich gute Butter (niemals Magrine! - Schmierfett nur der Mockte geben!) und Olivenöl und das reichlich. Keine drei Semmeln mehr zum Essen, nur zwei Brötchen, diese aber dick mit Butter unter dem fetten Käse, der Salami oder dem Nudossi. Wenig Nudeln, Apern oder Reis. Lieber mehr fettes, scharf angebratenes Fleisch und davor und dazu Salat. Meine Lieblingsnascherei, zu allem dazu, danach oder allein, auch eine ganze Mahlzeit ersetzend, Studentenfutter, selbst zusammengeschüttelt im Fünfkiloeimer. Die Hauptzutaten, ungesalzene Erdnüsse und Rosinen, hole ich bei Kaufland, und den Rest, wenn es bevorzugt dort oder woanders im Angebot ist. Den Eimer zu füllen, dauert schon eine ganze Weile, ihn zu leeren aber auch. (Das Ganze nennt man, glaube ich, "Lohkarp".)


    Gute weitere Tips gebe ich dann einstens (In den Neunzigern war ich, eine preiswerte Alternative zur aufkommenden Mobiltelephonie suchend, CB-Funker. Im Funkerrotwelsch hieß ein Gespräch "QSO". Ein analoges Gespräch, von Angesicht zu Angesicht also, nannten wir dementsprechend "Nasen-QSO".), so Gott will, im Nasen-QSO.


    Marko, ich danke Dir für Deine diplomatisch-höfliche Umschreibung: "Das Foto auf dem Moped in der Tschechei damals sah viel dicker aus." Unglaublich, wie Photopapier so aufträgt... Zur Zeit wiege ich einhundertundvier Kilogramm und ich hoffe, die Negativtendenz hält noch eine Weile an. Seit meinem siebzehnten Lebensjahr träume ich davon, wieder unter die Einhundertkilogrammarke zu fallen und ich bin diesem alten Ziele jetzt nahe wie nie zuvor...


    Zu Berlin also. Tja Marko, dank der Zensoren war es nun nicht möglich, uns mal spontan in der Hauptstadt kennenzulernen. Die Punkkneipe mit dem leckern hellen "Kreuzberg Tag", der nullvierer für zwozwanzig, liegt an der Grenze zu Neukölln und heißt "Trinkteufel". Abgesehen von der Musik ist dieser Laden sehr zu empfehlen und das "Berliner Kindl" ist bei weitem nicht so lecker, wie das Trinkteufelbierchen! (Wir stechen das mal privat aus, ja?) Ich logierte drei Fußminuten vom Kottbusser Tor entfernt (sogar eine der zwei Berliner "Dresdner Straßen" gibt es dort im Viertel) und betrieb mannigfaltige soziologische Studien, die für einen wie mich sehr von Interesse sind, aber so rein gar nichts mit Simson zu tun haben. Eine neumodsche Elektroschwalbe sah ich, photographierte sie aber nicht. (Schon allein der Gedanke daran, in Berlin die Kamera bei mir zu führen, streßte mich.) Auf einem Platz ganz in der Nähe sah ich Berlins einzige Simson und lichtete sich für Euch mit dem Schlauphon meiner Wirtin ab. (Scheißkameras haben die Dinger - kaum, daß ich das Bild überhaupt retten konnte...) Sonst sah ich in Berlin nüscht simsiges...


    Du frugst mich vor einiger Zeit über unser Sommerkino aus, Marko, wie es denn angenommen würde und erzähltest von Besuchereinbrüchen bei Deinem hiesigen Sommerkino. (War es das Chemnitzer?) Zur Beantwortung Deiner Frage hänge ich die Statistik unserer Besucherzahlen an. Es ist faszinierend. Ich leitete es jetzt das vierte Jahr. Einige gravierende Änderungen führte ich damals sofort mit Dienstbeginn ein, um andere Verbesserungen mußte jahrelang gerungen werden. Und nun machte es "plopp!" und sie zeitigten Wirkung. Die "Zittauer Filmnächte" erlebten das erfolgreichste Jahr ihrer Geschichte! Ich behaupte aber nicht, daß wir besser sind, als die anderen; wir hatten halt nur einen immensen Aufholbedarf...


    Guten Tag, Herr Lehmann. In der südpreußischen Knochenmühle, in der ich meine letzte Bauphase durchlitt, gab es einen knorzigen Kranfahrer namens "Herr Lehmann", uralt, riesengroß, langsam, Hände wie Klodeckel und verwachsen mit seinem Kran: Ein lupenrein gepflegter DDR-ADK, aber nicht der auf W50-Basis, sondern der größere, mit dem riesigen Fahrerhaus. Also, es ist sowohl schön, wieder einen Herrn Lehmann zu haben, als ebenso, einen weiteren Cottbusfreund gefunden zu haben.


    Das Video kannte ich nicht, mir schwebte auch was anderes bei meinem Portait vor, der vereinsamte Mensch im Schnittpunkt der Bildlinien einer trostlosen Umgebung, oder so ähnlich...


    So. Es ist diesmal ein bißchen länger, die Arbeit dreier Abende, aber da habt ihr wenigstens eine Weile zu tun.


    Bis zum Wiederlesen, Euch einen gesegneten Sonntag wünschend,
    Euer Kaffeehaustilo

    Kreuzberger Nächte sind --- auch einmal vorbei!


    Ich grüße Euch aus der Reichhauptstadt Berlin, von meinem Autoabholurlaub. Ich schreite auf dem gleichen Pflaster, wie einst die nicht genug zu verehrenden Hohenzollernkaiser! Fast mag man vor Rührung den Katzenkopf küssen, aber hier, unmittelbar am Kottbusser Tor, überlegt man sich solches dann doch lieber zweimal. Abgesehen von den Nachkommen jener, denen einst Prinz Eugen, gepriesen sei sein Name, vor Wien den Hintern mit dem eisernen Rutenbesen versohlte, also genauso, wie es sich ein Hinterwäldler vorstellt, ist kaum etwas so, wie es sich ein Hinterwäldler vorstellt. Fast ein bißchen wie auf dem Dorf, jeder kennt jeden, und die Wege sind kurz.


    Es war Sonnabendabend, die heißeste Nacht der Woche in der aufregendsten Gigapole der Welt, da steppt der Berliner Bär, denkt der Hinterwäldler. Allerdings feierte ganz Berlin am Vorabend das weltweit bekannte "Flenndipplfest", welches man ja fast allerorten, außer in der Oberlausitz natürlich, dort kann man es noch, seltsamerweise "Hällo-Wien" ausspricht (hmmm, ist es wohl ein Vorort von "Buda-Pest"?) und dazu derartig viel Alkohol vernichtet, daß mein erster Berlinabend nach fünfzehn Jahren verhalten ausfiel, denn alle, alle waren verkatert.


    Wir landeten in einer extrem verpunkten Kneipe, die aber, klammert man die Ohrenfolter aus, ein mördersüffiges Hell einer ganz, ganz regionalen Brauerei namens "Kreuzberg Tag" für 2,20 Mark nullvierer anbot. Da fühlte ich mich fränkisch und wohl!! Einszwei Thresen weiter gab es Berliner Kindl, bei weitem nicht so lecker, 3,10 Mark, ebenfalls im nullvierer Fingerhut. Da wollte ich (Ich!!!!!) sogar in eine Punkkneipe zurück...


    Im Schienenersatzverkehr nach Hagenwerder ließ ich mein Schreibzeugmäppchen mit dem Rauchzeug liegen. Das war unschön, aber ließ sich verschmerzen. (Ich werde trotzdem mal im Fundbureau unseres Busunternehmens nachfragen...) Laut Verbindungsplan, den ich diesmal hatte, stand etwas von fünf Minuten Aufenthalt in Cottbus. Hier lebte ich von 1997 bis 2001, baute tagsüber Pflanzenkläranlagen, holte abends mein Abitur nach und dann nachts --- Ich glaube, damals schlief ich überhaupt nicht.


    Ich dehnte die fünf Minuten auf zwohundertvierzig Minuten aus, von denen die ersten knapp einhundertsechzig angenehm verliefen, doch ich greife vor... Cottbus ist noch immer meine Lieblingsgroßstadt, trotz einiger aktueller stadtplanerischer Bausünden (ein Stück Grüngürtel wegkloppen, um neben ein häßliches Kaufhaus ein häßliches Kaufhaus setzen zu können). Im älteren der beiden, worin ich schon damals einkaufte, erstand ich ein neues Schreibzeugmäppchen mit Inhalt. Nur meine alten Stammkneipen, die fand ich nicht mehr und in "mein" altes Viertel, am Krematorium des Nordfriedhofes gelegen, ging ich auch nicht, ich blieb in der Sitti.


    Was meinen Cottbusbesuch unangenehm abschloß, ohne mir meine Sympathien für diese Stadt nehmen zu können, erzähle ich Euch, wenn ich wieder zu Hause bin. Anbei für Euch nun etwas zum Augenschmaus. Bis zu meinem nächsten Bericht aus Berlin (Netz hier auch am Bett!),


    Euer Tilo

    Kilometerstand: 18 908


    Welches der beiden, Timo? Das en face-Bild, hörte ich sagen, sei gruslig.
    Bin in Eile. Mich ruft mein neuer Wagen, ein latinisierter Horch aus dem Jahr 95.
    Gestern hatten wir minus zwei Grad abends und ich mußte noch, eines Besuches wegen, einen Umweg fahren. Ich habe zwar gute Handschuhe, aber es half nicht viel, erst nach einer Viertelstunde des Knetens über dem Ofen erwachten meine Hände langsam wieder...
    Heute warm und Sturm, zittauwärts Gegenwind, konnte kaum den dritten Gang halten, doch wird es wohl heimwärts dann flotter gehen...
    Verzeiht. Ich bin heute nicht so gesprächig, die Verwerfungen halten an und menschliche Enttäuschungen lauern dahinter...


    Euch ein gesegnetes Wochenende,
    Tilo


    P.S.: Der Flixbus jenes Abends nach Bamberg hatte zwei, der Anschlußbus nach Bayreuth sogar drei Stunden Verspätung. Wie hätte ich das denn herausfinden sollen...? Nach Vorlage der Bahnfahrkarte erstattete mir Flixbus anstandslos die einundzwanzig Mark zurück. Wenigstens ein Lichtstreif...
    Tilo

    Kilometerstand: 18 860


    Horido Kameraden.


    Jetzt sollte ich endlich die Geschichte meiner Heimfahrt zu einem Abschluß bringen. Abschnur ("Offlein") fehlt halt die Motivation der sofortigen Veröffentlichung und meine Abende sind irgend immer angefüllt mit Tätigkeiten; also dieses "armer Hartzviererkünstler ist vom Weib verlassen und glotzt nur noch die Wand an" - Gefühl will und will sich nicht einstellen. Mein Tag beginnt früh um zwölf und endet zwischen drei und fünf und ist derart angefüllt mit Tätigkeit --- also für eine Vierzigstundenarbeitswoche könnte ich nicht einmal den Schimmer von Zeit aufbringen. Ich hätte gern mal eine kleine Dosis Langeweile... (Jetzt ist es halb vier und ich dachte, wenn ich jetzt nichts für die Jungs tippe, wird es heut wieder nichts...)


    Als ich von meinem ausgedehnten Stadtrundgang Sonnebergs zum Bahnhof zurückkehrte, war es um zwei und ich durchnäßt, verschwitzt und begann zu frieren. Dankenswerterweise lag mein Gepäck noch in der Aufbewahrung, einer kleinen Baum- und Buschinsel visavis des Bahnhofs. Wie mir Wikipedia verriet, stand dort einst irgendsoein blödes Kommunistendenkmal, das man aber gottlob kurz nach dem Umsturz vor dreißig Jahren abriß. So ein Wäldchen ist viel schöner!


    Ich flüchtete mich mit Säggl und Bäggl an den wirtlichsten Ort Sonnebergs: Die beleuchtete und überdachte, aber deswegen auch besonders zugige (haha: is ja auch'n Bahnhof!) Vorderseite desselben. Ich hatte noch einen Satz saubere Kleidung. Diese zog ich nun an. Es war nicht schön, aber beim Bund habe ich mehr gefroren (obwohl wir uns damals dick mit dieser rheumatischen Salbe einrieben, die die Haut so herrlich aufheizt). Dann saß ich da, meine letzten Schlucke Limonade streng rationierend, und versuchte, wütend vor mich hinrauchend, Tabak hatte ich noch genug, mit meinen Blicken die Gehsteigplatten zu durchbohren. Zum Schlafen war es zu kalt und ich zu hungrig. Steckdose gab es auch keine und es lohnte also nicht, am Rechner zu arbeiten und die neunzig Minuten Akkulaufzeit runterzunuddeln. Ich brauchte eine Beschäftigung!


    Um drei hatte ich die zündende Idee und begann eine längere Serie von Selbstportraits, wie ich da hockte, in dieser lebensfeindlichen Umgebung. Mein neugekaufter Walkman, der mir diese ohnehin schon schöne Reise noch versüßte, spülte unentwegt akustischen Kaffee in meine Ohren und ich begann. Kein Stativ, nur ein Kleiderhäufchen, Festbrennweite, Ausschnitt und Fokus müssen exakt manuell eingestellt werden, dazu nehme ich meinen Rucksack. Dann drei Sekunden Zeit, um den Auslöser verschwinden zu lassen und sich in eine vorgeprobte Haltung zu begeben und zwei Sekunden stillsitzen. Zur Bildkontrolle auf den Bahnsteig legen, fluchen und ganze Serien verwerfen, wenn der Kopf angeschnitten war oder die Schärfe fehlte. Als dreiviertel sechs Leute zum ersten Zug kamen, der mich nicht tangierte, und mich trotz ihrer morgendlichen Faltigkeit angrinsten, hatte ich genug Material bekommen und Zeit totgeschlagen.


    Um sieben fuhr ich zurück nach Lichtenfels, wo ich ganze Universen an Zeit eher schon durchgekommen war und stieg jetzt aus. Bahnhof und Vorplatz von Lichtenberg standen dem von Sonneberg in nichts nach: Kein Bäcker, kein Fleischer, kein Imbiß. Lichtenfels' Krönung der Zivilisation jener Stunde aber war ein Süßigkeitenautomat, der mich meines letzten Hartgeldes beraubte. Zwei Erdnußriegel der Marke "Snickers" und ein "Sprite"-Derivat aus dem Hause "Pepsi". Des Leipziger Zuges harrend ergab ich mich dieser Völlerei dann auf dem Bahnsteig.


    Ein drittes und leider auch letztes Mal auf dieser Fahrt hatte ich das, mit Worten einfach nicht hoch genug zu preisende Vergnügen einer wunderbaren Reiseerleichterung: Steckdosen im Zug! Die Sonne erbrach einen klaren und kalten Tag und ließ uns durch goldene Meere schwimmen. Ich arbeitete, sah aus dem Fenster und war wieder eins mit der Schöpfung. Drei Stunden später, am hohen Mittag, traf in Leipzig ein und dort meinen guten alten Vater, den ich telephonisch avisiert hatte. In einem kleinen Imbiß, visavis des Westeinganges im Grüngürtel gelegen, nahmen wir Platz und ich sprach mich mit meinem alten Herrn gründlich aus, das erste Mal seit längerem. Er beglückwünschte mich zu meinem neuen Lebensabschnitt. Aber auch ich beglückwünschte ihn. Er hielt es, von 1970 an, sechzehn Jahre mit meiner Mutter aus. Ich nur vierzehn Jahre mit der Mutter seiner Enkel. Er hat gewonnen. Und es ist mir herzhaft egal... Dies waren schöne Stunden. Schön auch war die schwarzhaarige Tochter Evas, die diese Bulettenbraterei betrieb und sich wunderte, so einer war ihr noch nie untergekommen, der die Hackschnitzel kalt essen wollte...


    Der Doppelstockzug nach Dresden war überfüllt und frei jeglicher Steckdosen. In Neustadt stieg ich aus. Dort befinden sich, liebevoll saniert, so kleine kaiserliche Hüttchen als Unterstand. Im Vorbeigehen erblickten meine Augen --- eine Steckdose! Freudig springe ich hinein und stecke meine Geräte an. Kein Strom. Ich packe alles wieder ein und sehe, draußenstehend, eine ältliche Bahnmitarbeiterin. Ich trete auf sie zu und sage freundlich: "Guten Tag. Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine technische Störung melde?". Mich traf der Blick kalter Schweinsäuglein. "Wassnlos?" "Ja, dort in Ihrem Aufenthaltsläubchen, da geht die Servicesteckdose für die Reisenden nicht." Ihr Kopf bewegte sich einen Millimeter nach rechts, zwei Millimeter nach links und wieder einen nach rechts: " Da iß keene." Ich wagte es, ihr zu widersprechen: "Doch, glauben Sie, ich kenne mich da aus. Da ist wohl eine Steckdose." Als wären Kopf und Korpus starr miteinander verbunden drehte sie sich um, dabei murmelnd: "Tseigensemah!". Ich tat, wie mir geheißen. Sie hielt es für eine Abzweigdose. Erst als ich den Deckel hob und auf die Löcher wies, begann sie, es zu glauben. Plötzlich glühte das speckige Gesicht stolz auf: "Glor giehdse nih, muß ja, gönnd ja sunnsd jeder...". Flammende Empörung durchlohte mich und ich nagelte sie, die sich schon umdrehen wollte, mit meinen Blicken fest: "Warum behandeln Sie Ihre Gäste immer so schlecht?" Meine Worte prallten von ihr ab, wie Sperma von einer Gummipuppe. Keine Reaktion. Ich ging in die große Halle. Der Fahrkartenschalter war restlos überfüllt. Ich ging in den Konsum. Nach meiner Frankenerfahrung war das dortige Bierangebot ein Schlag ein die Fresse. Nach längerm Widerwillen entschied ich mich, ekeldurchzuckt, für zwei Becks Gold. Die Kassiererin trug Bahnerkleidung. Brav wiederholte ich meinen Satz: "Guten Tag. Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine technische Störung melde?" "Sagenses nih mir, sagenses dem Söhrwißstand!" beschied sie mir. Den Glaspavillion mit der Aufschrift "Service" fand sich schnell, fünf Meter vor der Konsumtür. Er war unbesetzt. Zwei Mal überprüfte ich die Öffnungs- mit der Ortszeit, doch es half nichts: Kein Bahner materialisierte sich zwischen den Glasscheiben. Also tat ich, wie mir geheißen: Ich klagte dem Häuschen mein Leid und wandte mich zum Bahnsteig. Schön, wie sie alle ihren Franz Kafka gelesen haben...


    Die letzten zwei Stunden Zugfahrt in den Orkus der Welt, meine Heimat, verliefen wie immer: Ist anfangs der Zug stets überfüllt, wird es dann von Station zu Station wie ein umgekehrtes Zehn-kleine-Negerlein-Spiel, nur die ganz kaputten Fratzen bleiben bis zur Endhaltestelle und steigen in Zittau aus. Nur ächte ZiMus... Auf dieser fest installierten Kiste, neben dem Klo, in der Fahrradecke, fand ich Platz. Und wieder keine Steckdosen... Ich schrieb dem Besitzer des kaputten Motorrades (das vielleicht auch schon dreivierfünf Winter vor sich hinverwest), daß ich mich in Kürze seiner Obhut anvertrauen werde. Ich schrieb ihm eine sehr schöne SMS - quasi ein Bukett in Worten, ich wollte von ihm ja auch heimgefahren werden und ließ darob die erste Stunde verstreichen. Dann flirtete ich mit der hübschen Blondine rechts von mir ein wenig, doch als ihr Freund zornig zu blicken begann, tat ich es endlich: Ich nahm Klappkowski heraus und nuddelte schreibend den Akku runter. In Oderwitz stieg ich aus, das Kainsmal Zittau sparte ich mir...


    Nun war ich knapp vierundzwanzig Stunden unterwegs. Ich stieg in mein Gepäck und wankte die letzten vier Kilometer zu meinem Freund R. Dieser Kaiser der Gastlichkeit gab mir Wärme, denn mir war kalt, gute Musik, denn mein Walkman war leer, gab mir Internetz strahlungsarm über Leitung, so konnte ich gleich in großer Ruhe meinen Bericht an Euch stricken, was, mit Unterbrechungen, bis Mitternacht dauerte, setzte mir einen riesigen Berg Makkaroni mit Tomatensoße und Käse vor und gab mir einen großen Korn, nachdem ich aufgegessen hatte und, nachdem er en passant immer ein wenig über die Dauer gelästert hatte, noch einen großen Korn, als ich meinen Beitrag kurz vor Mitternacht dann endlich abschickte.


    Einer seiner Knechte brachte mich nach dreißig Stunden Reisezeit für vierhundertfünfzig Kilometer gegen halb zwei auf mein Rittergut. Hier mußte ich erstmal die Kälte aus den Mauern vertreiben und heizen. Ich glaube, es war gegen vier, als es sich durchwärmt hatte und ich mich, wie Totholz, in den Zustand der Vertikalität begab. Der Jetzlag quälte mich dann noch bis Montag...


    So. Falls Ihr wissen wollt, wie schnell ich schreibe: Jetzt ist es Punkt sechs und von Ost kommt ein Schimmer. Da habe ich mir wieder die Nacht für Euch um die Ohren gehauen, ausschlafen kann ich auch nicht, früh um zwölf bekomme ich Besuch von einer Dame; aber das könnte schon wieder eine nette Geschichte werden... Die zweidrei Sachen vom Spätsommer zu erzählen habe ich auch nicht vergessen und noch im Hinterkopf!


    Die zwei gelungensten Selbstportaits jener Nacht sind nun fertig entwickelt. Das eine hänge ich hier drunter und das andere habe ich ausgetauscht mit seinem unbearbeiteten Vorfahren, in diesem übermüdeten Beitrag jenes faszinierenden Freitags, der eine faszinierende Reise abschloß, die einen faszinierenden Urlaub abschloß...


    Bis demnächst. Euer
    Tilo

    Kilometerstand: 18 558


    Noamde,


    bin ich ja gar nicht, ich hatte es im Urlaub bis ans Bett, nun nicht mehr und ich muß wieder bis nach Zittau ins Bureau, um ins Netz zu kommen. Aber in meiner, so Gott will, neuen Wohnung in Dittelsdorf werde ich es mir gönnen, da bin ich dann schneller in der Lage, mal was zu schreiben.


    Ja, Marko, es fällt mir wie Schuppen aus den Haaren: Du wolltest noch das Bild haben! Verzeih! Das habe ich nun doch völlig vergessen...


    Mich treibt es jetzt schon wieder, muß jetzt noch schnell in der Company duschen und gegen die Klinge springen, dann bin ich zu einem Geburtstag geladen; ebenfalls ein Biker, hat so einen Mörderchopper mit LKW-Rad hinten, tausenden Kubik und Lenkungsdämpfern (mir kleinen Hupf viel zu riesig); aber der Ärmste hat die Maschine über den Winter stehen lassen, voll mit mordernstem deutschen Quälitätskraftstoff und all seinen ominösen Zusätzen --- nu isse Schrott, nur vom Herumstehen übern Winter, alles fest oder angefressen...


    Also Freunde, ich muß! Bis dahin,
    Tilo

    Wieda doheeme! Das war eine Fahrt, Junge, Junge!


    Nach Gereuth zu den Simsonfreunden habe ich es nicht mehr geschafft, da ich mich beim Packen dann doch etwas vertrödelte. Ich radelte aber noch die steile Straße nach Obermerzbach hinauf. Dieses liegt nur wenig tiefer, als Untermerzbachs höchstgelegene Wohnhäuser, ist sehr pittoreskt und besitzt die mit Abstand älteste Dorfkirche weit und breit, Frühromanik mit noch archaischer Prägung; und wer fränkische Kirchen kennt, weiß, daß diese sehr alt sein können, diese hier ist es ganz besonders, aber nur das Schiff, der Turm ist neuer, quasi von gestern, aus dem fünfzehnten Jahrhundert.


    Nach dieser kleinen Phototour ließ ich mich Donnerstagabend nach Bamberg bringen, die Freunde verschwanden und ich stand allein am grünen Flixbusschild. Das blieb auch so. Kein Flixbus kam und nahm mich mit (der Busfahrschein nach Dresden ist aber schon bezahlt, einundzwanzig Neumark, ick hoffe, det jiebtet wieda). Mein Konto gab gerade noch so die Zugfahrkarte zwoter Klasse nach Oberoderwitz her. (Aber glaubt bitte nicht, daß es einfach ist, einen Bamberger Fahrkartenautomaten nach einem Oberlausitzer Dorf ins Kreuzverkehr zu nehmen...)


    Die in allen Farbnuancen des Spektrums irisierende große Glasscheibe des Beförderungsberechtigungserwerbungsautomaten flackerte höhnisch, sagte in allen Argots der Welt nichts Sagenswertes und zeigte mir gleich darauf wieder seine kalte Hauptmenüschulter. Einen Fahrschein allerdings spie er aus. Wie ein Ertrinkender griff ich danach, drehte ihn um und erblaßte, Nun machte ich den ganzen Kaufkokolores noch einmal, ohne zu bezahlen natürlich, und das Ergebnis war kongruent: Mir ist schon klar, daß keine Bamberger Kalesche nach Oberoderwitz fährt, aber an welchen Restaurationen ich eines kreuzenden Postillions zu harren habe --- derlei nur für mich wichtige Informationen sieht sich ein allmächtiges Transportunternehmen an seine "Achtung-Kunde-kommt-und-droht-mit-Umsatz"-Fahrgäste selbstverfreilich weiterzugeben außerstande, noch dazu über so einen schlichten, sich aus einfachsten Verhältnissen bis in den Verkauf hochgearbeitet habenden Schwellwertschalter (oder vielleicht kam er auch als Bimetall oder Durchgangsprüfer zur Welt...), denn die Bahn braucht jeden, nur keiner weiß, wo...


    Mein Gepäck besteht aus (denn noch bin ich ja nicht ganz zuhause, sitze bei einem Freund in Oderwitz, warte erst das Unwetter ab und lasse mich dann zu meinem Rittergut rüberbringen --- wie mag es meinem Roß wohl gehen --- wird es vor lauter Sehnsucht schon ganz platt sein?) meiner üblichen Bureau-, Rechner- und Schreibzeugtasche und meinen bis auf den letzten Raumzentimeter vollgestopften Deuter-Hiker-Langrucksack von 35 Litern. Dazu kam heimwärts noch eine ordinäre Einkaufstasche, in der zwei Fünfliterfäßchen fränkischer Gaumenkitzler lustig hin- und herrollten. Da schleppste janz schiene! (Auch half mir, daß ich mich in Anbetracht meiner lichtbildnerischen Ausrüstung an die einzige englische Lebensweisheit hielt, die ich wertschätze und die das Deutsche mit "Aus Beschränkung ziehe Gewinn" nur andeutungsweise wiedergibt: "reduce to max!" - ich nahm nur mit die Kamera mit Wechselakku und Fernauslöser, meinen Spezialfilter aus dem Nachlaß meines Urgroßvaters und die lichtstarke fünfziger Festbrennweite --- also für die Laien unter Euch: Ich komponierte die Bilder mit den Füßen, nicht mit einem Dreh am Objektivrad!)


    Zurück zur Reise. Als ich noch auf den nichtkommenden Bus wartete, schlenderte ich durch Bamberg. Großstadt, Verkehr, Menschen, Kneipen, Lichter, Läden. Leben. (Mir etwas zu viel Leben. Ich wollte die zwei fränkischen Abschiedsbier - die ich kaufen mußte, um Kleingeld für die Gepäckaufbewahrung zu bekommen - zornige drei fuffzich für zweiundsiebzig Stunden Gepäckaufbewahrung - Exkurs in kapitalistischer Politik: Wieviel zahlt man dann für zwo Stunden? - Richtig! ...ich hätt' kotzen können! --- also die zwei Bier wollte ich sitzend in kontemplativer Atmosphäre trinken, nicht gehend auf dem Trottoir und begann einen solchen Ort zu suchen. Der Mediavist in mir fand ihn dann auch, ein ganz kleiner Platz, eine Schwengelpumpe, eine Bank, zwei Bäume, aus einem Fenster klang Klaviermusik, Schumann oder etwas ähnlich trauriges und das alles überwölbt von Sankt Gangolf, Bambergs ältester Kirche --- dann schlug ihr Geläut durch die Nacht, während das flüssige Gold aus den von ihr beschirmten Sprengeln mir die Großartigkeit menschlichen Erfindergeistes vor Augen führte, so diese im Einklang bleibt mit Gottes unermeßlicher Schöpfung --- die ich dann auf meine Art pries, indem ich mit einem freundlichen jungen Vater, der sein Kleinkind im Tuch auf der Brust trug, wie ich einst die meinen, ins Gespräch kam, ihn darob lobte, das Bier bejubelte und plötzlich zwei völlig Fremde in einem guten Gespräch sich wiederfanden --- Freunde für eine Viertelstunde...)


    Also zurück zu Bamberg, wie groß es auch sein mag, es gab sich metropolitan. Aber auf dem Bahnhof war schon Feierabend und er unbesetzt, kein Bahnarbeiter zu sehen und da kam auch schon der Zug. Ich eruierte schnellstmöglich die Situation und entschied mich zwischen zwei Möglichkeiten für die logischere und übersah die dritte. Der Zug sollte nämlich irgendwo getrennt werden, der vordere Teil im Westen bleiben, der hintere zu uns nach Mitteldeutschland. Das deuchte mir auf keinen Fall falsch und ich setzte mich nach hinten. Der Zug hatte Steckdosen und ich machte weiter mit der Digitalentwicklung und verlor mich darin. Alle meine Hoffnung ruhte auf dem Schaffner, doch keiner kam, ich war fast allein im Waggon. Was als nächstes zu mir drang, war die Durchsage: "Sonneberg. Alles aussteigen, der Zug endet hier." Ich hätte mich zur Wehr setzen müssen, mich verbarrikadieren, Geiseln nehmen, doch war ich unwissend und gehorchte aus Dummheit. Ich fühlte mich wie ein frisch im Gulag eingetroffner Dissident, frühmorgens, kurz nach Mitternacht zum Schichtbeginn, in Jakutsk oder Wladiwostok, auf dem Busbahnhof bei Treibstoffmangel...


    Ich trat beladen aus der Wärme und eisiger Regen peitschte mein Gesicht, daß ich im Handumdrehen aussah wie Heinrich Lehmann-Willenbrok auf der Jagd. Hinter mir schnappte die Zugtür ins Schloß und der dunkelbärtige Vorabreiter der dunkelbärtigen Putztruppe aus Beutedeutschen verschmolz geräuschlos mit dem grauen Schleier. Nur der Regen rauschte, sonst war es totenstill. Es war Schlag Mitternacht, kein Mensch mehr zu sehen oder hören, keine Autos, nicht mal die Bullen kreisten, der Regen fiel, ein eisiger Wind pfiff und alle Türen rings des Bahnhofs waren geschlossen. Auch vor dem Bahnhof kein Laden, keine Bar, keine Kneipe, kein Mensch, nur Brachflächen, Parkplätze und Bureauhäuser. Zum Gepäck kam die tonnenschwere Last der Gewißheit, wie mir eine gelbe Tafel kündete, daß mir ein längerer Aufenthalt bevorsteht:


    Sieben Stunden allein mit dem Wahnsinn in Sonneberg!


    (Wie es weitergeht, erfahren Sie demnächst an dieser Stelle, der Autor bittet jetzt, sich zurückziehen zu dürfen, da er nach exakt sechsunddreißig Stunden des Wachseins nu doch'n biss' miede is und ihn das Stricken selbst einfachster Sätze zur Stunde anstrengt und er sodurch hofft, beim nächsten Mal sich nicht selbst zu umfangreich korrigieren zu müssen. --- Ich muß ja ooch noch durch'n Wald und drieben heezen...)


    Damit verabschiedet sich, der sich nun wieder an ein nicht ständig am Bette schon anliegendes Internetz gewöhnen muß,
    Tilo

    Hab Dank Helm für das Lob!
    Aber vermag ich es nicht, obwohl ich sie mehrfach laut vor mich hin sprach, den Sinn Deiner Frage zu ergründen: "Begeht man solch scheidende Weg im Urlaub?" Falls Du einen Scheideweg meinst, nö, der hat mit dem Urlaub nichts zu tun, den betraten wir viel eher, oder haben ihn nie verlassen...


    Tja Marko, da bist Du mit einem zu preisenden Weibe gesegnet. Du schreibst: "...wenn ich mal später nach Hause gekommen bin oder spontan nach der Arbeit noch woanders hingefahren bin.". Wie gut Du es hast! Bei mir mußten erst zehn Jahre vergehen, bevor ich, in Ausnahmefällen, allein weggehen durfte, bis dahin befand ich mich im Gefängnis des permanenten Nichtalleinseindürfens. Alles wurde immer gemeinsam gemacht oder gar nicht, Ausbruch verboten. Deswegen haßt der Drache auch das Moped, ist es in seinen Augen ein Dädalusflügel... (Ich bin Stoiker, kann viel ertragen, überschätzte mich aber doch, das Klammerverhalten psychisch Kranker ist um ein vielfaches zäher, als der Laie gemeinhin glaubt...)


    Bevor es diese Nacht mit einem Billigbus heimgeht, radel ich jetzt noch mal flott (...na ja, was ich so dafür halte, eher ein beräderter Wanderstock...) nach Gereuth und gugge nach den Simsen. Und wer von Euch heut nacht auf der Autobahn ist --- Fahrt vorsichtig! In einem der Busse sitze ich!


    Bis dahin (kein Internetz im Garten, das wird mir fehlen, man gewöhnt sich viel zu schnell daran, aber in der neuen Wohnung werde ich es mir gönnen...), ich denke mal, Sonnabends wieder aus dem Bureau,


    Tilo

    Kilometerstand: 18 413


    Guten Morgen Freunde.


    Eigentlich wollte ich ja einen längeren Bericht mit allem zu Berichtenden auf einmal schreiben, aber je länger ich harre, desto länger würde der Text und Ihr würdet spucken - wenn Ihr es überhaupt gelesen hättet. Also entschloß ich mich spontan, es bröckchenweise zu machen.


    Als ich nach sechsunddreißig Stunden Kulturarbeit an einem Sonntagmorgen anfang September müde, beschwipst, aber weit davon entfernt, strunzbetrunken zu sein, meinem Bett zustrebte, kam der Drache fauchend aus meinem Bau und forderte, ich solle doch sofort die zwölfstündige Abbauschicht noch mit dranhängen. Ich knurrte zurück und machte mich lang. Als ich früh gegen fünfzehn Uhr aufwachte, blickte ich visavis meines Lagers in leere Schrankfächer. Ganz vorsichtig, wie in Trance, als hätte ich Angst, durch eine unbedachte Bewegung den schönen Traum zu zerstören, schlich ich durch die Zimmer. Das Kinderzimmer sah wie immer so aus, als habe eine russische Schützendivison darin den Häuserkampf geübt (die Orks waren der Veranstaltung wegen sowieso zu Omi ausquartiert), aber dann in der Stube ---, meine Sohlen auf dem kalten Linolei signalisierten mir Wachsein, dennoch glaubte ich weiter zu träumen, so schön war der Anblick; alle Rümpelhaufen, Papierstapel, Pietätsecken, die Unmengen von Schuhkartons und jedweder andere, die Wohnkultur beeinträchtigende Krempel waren verschwunden! Der Drache hat meinen Hort verlassen!! Ich bin wieder Mensch, nur muß ich mir nach vierzehn Jahren an der Kette erst einmal langsam wieder den aufrechten Gang beibringen. Aber vor lauter aufkommenden Übermut darf ich nun auch nicht über die Stränge schlagen!


    Selbst ohne Putzen wirkte mein Häuschen auf einmal schon sauber. Das große Schrubben machte ich in der folgenden Woche. Nun sind "nur" noch die Fenster zu putzen. Zehn große DDR-Doppelfenster. Das sind pro Einzelflügel zwei Seiten, also pro Fenster acht große Scheiben, macht achtzig zu putzende Glasflächen. Das schiebt man gern vor sich her...


    Nicht vor mir herschieben darf ich: Wohnungsproblem, Aus-, Um- und Einzugsproblem, Autoproblem und das Problem mit den vielen kleinen bunten Zetteln, oder besser: deren fehlen. Mir brach jetzt ein kleiner Ferienauftrag weg, das tut schon weh. Also ignorierte ich alles und ging einem Plan nach, den ich schon im Frühjahr wob, damals noch von des Drachens saurem Atem kommentiert, nun aber ganz entspannt: Ich mache gerade einen Kurzurlaub und besuche Freunde, die ich seit 2006 nicht mehr gesehen habe.


    Hiermit grüße ich alle Simsonfreunde aus dem liebenswertesten Mikrokosmos par excellance: Dem unterfränkischen Untermerzbach! Ein Name, den man sich merken muß, denn hier will ich noch mindestens ein weiteres Mal Urlaub machen, so schön ist es hier. Die Biere sind alle regional, oftmals in der Kneipe selbst gebraut, urst lecker und derartig preiswert, das ist kaum zu glauben. In meinem Kino verkaufe ich Massenbier aus dem Halblieterpappbecher für drei Euretten, beim dreißigjährigen Klassentreffen vorige Woche waren es drei Euronen für kleine nullvierer Finkennäppl und meine Stammkneipe im Dorf unten nimmt sogar drei Mark zehn für den Halli aus der Flasche, alles Massenbrühen. Jetzt aber dort die Halblieterpreise, schnallt Euch an: Zwofuffzig gilt als teuer, die meisten sind zwodreißig, einige zwozwanzig und Flaschenbier beim Dönermann zwo Neumark, selbstverständlich auch regional.


    Aber auch die Kosten für die W.t.B.'s sind hier niedriger, es ist das Paradies! Wenig Berge, viel flach, keine Neubaughettos und alle Dörfer wie eben von der Eisenbahnplatte geklaut. Und als ich heute in der kommunalen Werbebroschur blätterte, was sah ich da? Es gibt einen Schwalbe-Club im Ortsteil Gereuth! Wenn ich da morgen nicht mehr hinkomme, dann auf jeden Fall beim nächsten Mal. Vielleicht haben sie auch eine Leihsimson, könnte ich mir das Fahrradfahren sparen, mir tut schon alles weh.


    Also, Ihr Schwalbefahrer da drüben im nahen Gereuth, seid erstmal digital herzlichst gegrüßt vom ganzen Simsonforum.de!!


    Ihr seht, es gibt noch viel zu erzählen und das werde ich jetzt peau a peau tun. Ich hänge noch ein paar Bilder an...


    Bis bald grüßt Euch
    Tilo